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...ein ziemlich trockenes Thema.
Hier hilft ein süffiger Rotwein aus südlichen Ländern.

Ein Motorrad ist - gleich einem Fahrrad - ein instabiles Gerät. Wird der Seitenständer eingeklappt, fallen beide einfach um.
Gott sei Dank, verhält es sich während der Fahrt völlig anders.

Die Räder werden in Drehung versetzt und stabilisieren so - durch die Kreiselpräzession - das Motorrad. Nimm einen Kinderkreisel, lass ihn drehen und schubse ihn an. Das Ding fällt nicht um, sondern geht nach kurzem Herumeiern sofort wieder in die aufrechte Position über. Selbiges Bestreben hat das sich drehende Rad. Es wirkt jedem Versuch entgegen, die Achse um die es sich dreht zu kippen.

Ein Versuch mit einem Laufrad eines Fahrrades soll uns das nun veranschaulichen: Zunächst klaue einem deiner Kinder ein Rad. Wenn keine Kinder vorhanden sind, zerlege das Fahrrad der Nachbarskinder oder des Postboten, das tut's auch. Halte das Rad mit beiden Händen an den Enden der Achse fest und bitte jemand, es in möglichst schnelle Drehung zu versetzen. So, als ob es das Vorderrad deines Motorrades wäre. Versuche nun, das Rad nach links zu drehen, also das rechte Ende der Achse ruckartig nach vorne zu bewegen, als wolltest du links ums Eck fahren. Das Rad wird sofort mit einer Kipp-Bewegung nach rechts antworten, also das rechte Ende der Achse nach unten bewegen. Genauso geht es natürlich andersherum.
Probiere das mal (aber vorsichtig!!!) auf dem Motorrad aus. Du drückst das rechte Lenkerende von dir weg und leitest so eine Rechtskurve ein.
Ein weiterer Versuch: Das Rad dreht sich (so schnell wie es dein "Mitarbeiter" hinkriegt) und nun nimmst du die linke Hand langsam von der Achse weg. Das Rad wird nicht kippen oder herunterfallen, es wird sich weiter drehen, als ob es 2 Auflagepunkte hätte. Einzig: Es beginnt langsam um den Auflagepunkt der rechten Hand zu rotieren. Je höher die Drehzahl des Rades ist, je größer es im Durchmesser ist und je mehr Masse das Rad hat, desto stärker sind die Effekte. Deswegen sind zum Beispiel die Räder einer Harley Roadking verdammt schwer. Das gibt Ruhe bereits bei geringer Geschwindigkeit.
Das ist die Kreiselwirkung (Kreiselpräzession), die einem "instabilen Zweirad" ab einer gewissen Geschwindigkeit die Stützräder erspart.

Ein Winkel: Der Lenkkopfwinkel

Der Lenkkopfwinkel ist der Winkel zwischen der Lenkachse (= Lenkkopf) und der Senkrechten zur Aufstandsfläche (= Straße).
In manchen Veröffentlichungen kommt es aber auch vor, dass der Winkel zwischen der Waagrechten und der Lenkachse angegeben wird (hier wird er mit mehr als 45° angegeben). Korrekt werden Lenkkopfwinkel immer wie hier im Bild angegeben. Üblich für Straßenmotorräder sind 25°-30° üblich.
Die Größe des Lenkkopfwinkels bestimmt maßgeblich den Charakter eines Fahrwerkes:
Ein relativ kleiner Lenkkopfwinkel trägt – wie eine Menge anderer Faktoren - zur Handlichkeit des Motorrades bei, da er das Rückstellmoment – die Kraft, die beim Fahren den Lenker immer wieder in die Mitte stellen will - reduziert.
Nachteilig kann ein zu kleiner Winkel sich in der Fahrstabilität bei hohen Geschwindigkeiten auswirken. Bei geringem Lenkkopfwinkel werden kleinste Bewegungen (ev. durch Fahrtwind oder Unebenheiten der Straße) leichter in eine Lenkbewegung umgesetzt. Ein Flattern der Lenkung kann dann die Folge sein. Wenn dann noch die Frequenz der Lenkbewegungen in den Bereich der Eigenfrequenz des gesamten Fahrzeugs gerät, kann sich die Fuhre dermaßen aufschaukeln, dass sie den Fahrer abwirft.
Als Mitte der 70er Jahre die darin sehr sensible Honda Goldwing GL1000 auf den Markt kam, gab es durch einen solchen Effekt sogar Tote.
Heute sind die Fahrwerke (in der Regel) aber so gut konstruiert, dass solch unheimliche Dinge nur noch in den Alpträumen wenig erfahrener Motorrad-Treiber vorkommen sollten.

Aber weiter in den "Winklichkeiten" der Fahrwerksgeometrie:
Ein großer Lenkkopfwinkel (35° - 45° bei Choppern) macht ein Motorrad bei höheren Geschwindigkeiten stabiler. Das hier sehr große Trägheitsmoment um die Lenkachse vermindert schnelle Bewegungen des Lenkers und verbessert so den Geradeauslauf, kann aber nur in Verbindung mit einem entsprechenden Nachlauf (zu dem wir gleich kommen) verstärkter Flatterneigung entgegenwirken. Gerade bei sehr langsamen Geschwindigkeiten ist dies aber ein großer Nachteil, da solche Motorräder dort recht instabil werden.
Fahrer von Choppern mit gereckten Gabelbrücken kennen das wohl.
Vor allem Enduros und Crosser haben einen kleinen Lenkkopfwinkel (z.B. KTM LC4 mit 27°) und sind damit sehr wendig, sportliche Maschinen haben aber oft noch kleinere Lenkkopfwinkel (Suzuki TL 1000 S mit 23°). Der Grund, warum letztere nicht bei höheren Geschwindigkeiten die gleichen unangenehmen Eigenschaften wie Enduros haben, liegt im längeren Nachlauf.
Aber noch einmal unser Merksatz: Der Lenkkopfwinkel ist die Neigung der Lenkachse (= Lenkkopf) nach hinten.

Der Nachlauf

Der Nachlauf ist das Maß zwischen dem Punkt der Straße, an dem das Rad aufsteht und dem Schnittpunkt der Lenkachse mit der Straße.

Das heißt deswegen "Nachlauf", weil der Aufstandspunkt des Rades (in Fahrtrichtung) der gedachten Verlängerung der Lenkachse bis zur Straße hinterherläuft.
Das Rad läuft also der Lenkachse NACH.

Die hauptsächliche Aufgabe des Nachlaufes ist, unser "instabiles Zweirad" mit einem ruhigen Geradeauslauf zu beschenken. Da das Rad hinter der gedachten Lenkachse aufsteht, wird das Vorderrad von der Gabel gezogen. Das funktioniert wie bei den Rollen der Einkaufswägelchen im Supermarkt. Dadurch, dass das Rad gezogen wird, hat es das Bestreben, sich immer wieder gerade in Fahrtrichtung zu stellen. Diese Neigung nimmt mit steigender Geschwindigkeit und Länge des Nachlaufs zu.

Das Zusammenspiel zwischen Nachlauf und Lenkkopfwinkel wird in folgendem Bild klar:
Die Kraft des Rollwiderstandes setzt am Aufstandspunkt des Reifens an und nutzt den Abstand bis zum Durchstichpunkt der Lenkachse als Hebelweg. Je stärker der Lenkeinschlag ist, desto länger wird der Hebelweg "A" und umso größer das Rückstellmoment.
Ein großer Nachlauf in Verbindung mit kleinem Lenkkopfwinkel verbessert die Stabilität bei niedrigen Geschwindigkeiten. Mit zunehmender Belastung der Vorderachse (Gepäck, voller Tank, Taschen, etc) steigt aber die Flatterneigung sehr stark an.

Versuch mal, mit einem voll beladenen Einkaufswagen den Geschwindigkeitsrekord an der Tiefkühltheke vorbei zu brechen und beobachte die lenkbaren Rollen dabei, welche einen übergroßen Nachlauf haben: Die schwenken nicht mehr, die zappeln richtig von links nach rechts. Warum?
Die Rückstellkraft zur Mitte ist so groß, dass die Rollen über den Mittelpunkt (Geradeausfahrt) hinauskommen. Im Selben greift das Rückstellmoment nun von der anderen Seite und "über-korrigiert" die Rollen schon wieder.
Wenn die Frequenz dieses Flattern des Vorderrades die Eigenfrequenz der gesamten bewegbaren Masse (Gabel, Rad, Lenkkopf, aber auch Schutzblech und Bremsen) erreicht, verstärkt es sich so sehr, dass der Lenker von Anschlag zu Anschlag schlägt. Das ist der viel zitierte Shimmy-Effekt.

Anders ist es bei einem kleinen Nachlauf, wie er z.b. bei sportlichen Maschinen vorkommt. Diese fühlen sich daher erst bei höheren Geschwindigkeiten wohl, da die Rückstellkraft wesentlich geringer ist und langsames Kurvenfahren so viel stärker vom Können des Fahrers abhängig ist, als bei einem Chopper mit noch zusätzlich "gereckter" Gabel und sehr langem Nachlauf.

Um einen ausreichend kleinen Nachlauf zu erreichen, wird die Gabel oft einige Zentimeter vor der Lenkachse platziert. Dies wird positiver Achsversatz genannt.

Soviel also zum Thema: Warum habe ich die Harley auf enger, kurviger Straße nicht abschütteln können, wo meine Rennmöhre doch 100 PS mehr hat?

Der Radstand

Ein kurzer Radstand verbessert die Wendigkeit (Handlichkeit) und die Lage in langsamen, engen Kurven. Bei höheren Geschwindigkeiten können jedoch die schwingenden Systeme Vorderradgabel - Rahmen (mit Motor, Hinterachsschwinge und Hinterreifen) in Resonanz kommen: Pendeln entsteht.
Durch einen langen Radstand können diese Resonanzen in Geschwindigkeitsbereiche verschoben werden, die von dem betreffenden Fahrzeug nicht mehr erreichbar sind. Oft wird aber vom Markt beides gewünscht:
Handlichkeit in engen Kurven sowie Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten.
Da wird der arme Konstrukteur in die Klemme gebracht und kann sich oft genug nur noch mit der Notbremse retten: Zum Beispiel hat die 2002 geborene Reiseenduro Suzuki DL1000 V-Strom eine elektronische Geschwindigkeitsbegrenzung eingebaut bekommen, weil die ganze Konstruktion ab 200 Km/h zu schwingen anfängt.

einige Beispiele für Radstand:
Suzuki Intruder VS1400 (Chopper): 1.620 mm
Honda CBR600F (Rennhobel): 1.405 mm
KTM 380 EXC (Grashüpfer): 1.451 mm

Der Schwerpunkt

Der Schwerpunkt eines Motorrades liegt üblicherweise irgendwo in der Nähe unterhalb des Tanks.
Verschiebt sich der Schwerpunkt nach vorne, verringert sich die Handlichkeit und Flatterneigungen, das Pendeln wird in höhere Geschwindigkeitsbereiche verschoben.
Liegt der Schwerpunkt weiter hinten, wird die Vordergabel entlastet, die Handlichkeit nimmt zu, die Flatterneigung steigt.
Ein tiefer Schwerpunkt ist bei niedrigen Geschwindigkeiten vorteilhaft.
Ein hoher Schwerpunkt hat Vorteile bei höheren Geschwindigkeiten, in Kurven wird das Motorrad agiler (Enduro), bei langsamen Geschwindigkeiten aber kippelig.

Bei all dem sollte jedoch nicht der Fahrer des Gerätes Vergessen werden:
Fällt dieser durch Größe, Gewicht oder CW-Wert aus dem Rahmen, so kann eine Suzuki RGV250 oder Yamaha XV535 Virago mit einem 2-Meter-Mann und 160 Kg Gewicht ziemlich zickig werden. Weil der Dicke ist bei der Konstruktion sicher nicht einkalkuliert worden. Ebenso wenig wie das 52-Kg-Männchen als Hayabusa-Treiber.

Losbrechmoment

Das "Losbrechmoment" beschreibt die Kraft, die zur Überwindung einer Haftreibung vonnöten ist und den Übergang in die Gleitreibung einleitet.

Ein Beispiel für Haftreibung:

Ein Metallklotz liegt auf einer schiefen Ebene (Metallplatte), rutscht aber nicht herunter.

Die Anziehungskraft ist geringer als jene, welche nötig ist, um den Metallklotz in Bewegung zu bringen.

derselbe Versuchsaufbau

...bloß diesmal schmieren wir die Metallplatte mit ein wenig Motoröl ein.
Dann setzen wir den Metallklotz auf und siehe da:

Er rutscht herunter.

Die Anziehungskraft ist groß genug, um den Metallklotz in Bewegung zu bringen.

Oberflächen sind nie 100%ig glatt, sondern haben immer eine gewisse Rautiefe.
Die aneinander gleitenden Flächen verzahnen sich ineinander, reiben.
Findet Bewegung aber erstmal statt, ist die Reibungskraft im folgenden stets geringer als am Anfang.
Werden die Oberflächen durch Öl voneinander getrennt, findet eine Reibung nur im Öl selbst statt. Hier ist der Viskositätsindex des Schmiermittels maßgebend.
Unser Metallklotz schwimmt also auf dem Schmiermittel.

Bei der Motorrad-Telegabel liegt an allen Stellen von Stand- und Tauchrohr, die sich berühren, Haftreibung vor (Gabelsimmerringe, Gleitringe).

Soll die Gabel sich bewegen (ein- oder ausfedern), muss die Haftreibung überwunden werden. Die dazu nötige Kraft wird als Losbrechmoment bezeichnet.

Benötigt die Gabel ein hohes Losbrechmoment, reichen kleinere Unebenheiten nicht aus, um die Gabel eintauchen oder ausfedern zu lassen. Das bedeutet, daß Fahrbahnunebenheiten, die der Reifen nicht ausgleicht, direkt in das Fahrgestell eingeleitet werden.
Das betrifft nicht nur das Einfedern, sondern auch das Ausfedern!
Als Folge kann der Reifen den Bodenkontakt verlieren, das Rad "springt"

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